jura ratio aktuelles
Gesellschafter Geschäftsführer abhängig beschäftigt trotz Poolvereinbarung

4.08.2020

Gesellschafter-Geschäftsführer abhängig beschäftigt trotz Poolvereinbarung

Ein Steuerberater, der gleichzeitig Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter einer Steuerberatungs­gesellschaft mbH ist, unterliegt auch dann der Sozialversicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung, wenn seine Tätigkeit zu 95 % darin bestehe, einen eigenen Mandantenstamm zu betreuen und die Geschäfts­führer­tätigkeit, für die -nur- der Anstellungsvertrag mit der Gesellschaft besteht, einen absolut untergeordneten Anteil der Tätigkeit ausmacht. Daran ändert auch eine gesellschaftsrechtlich wirksam bestehende Sperrminorität aufgrund Poolvereinbarung nichts.

 

Das BSG hielt am 7.7.2020 eine Entscheidung des Bayerischen LSG (L 14 R 5104/16, 12.07.2018), wonach ein Steuerberater in einer Steuerberatungsgesellschaft trotz Poolvereinbarung arbeitslosenversicherungspflichtig aufgrund abhängiger Beschäftigung sei. Der Kläger ist einer von vier Gesellschafter-Geschäftsführern der Beigeladenen zu 1., einer Steuerberatungsgesellschaft mbH. Alle Geschäftsführer üben den Beruf des Steuerberaters mit eigenem Mandantenstamm aus. Der Kläger verfügt über 25 % der Geschäftsanteile, sein Vater über 0,954 %. Die Abstimmung in der Gesellschafterversammlung erfolgt unabhängig von der Stammeinlage nach der Anzahl der Gesellschafter. Gesellschafterbeschlüsse werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst. Nach dem Geschäftsführeranstellungsvertrag hat der Kläger seine volle Arbeitskraft gegen eine Festvergütung und Tantiemen zur Verfügung zu stellen. Im Jahr 2010 vereinbarten der Kläger und sein Vater einen notariell beurkundeten Stimmrechtspool im Sinne von § 13b Abs 1 Nr 3 ErbStG als Innengesellschaft des bürgerlichen Rechts. Danach sind die Mitglieder des Pools verpflichtet, ihr Stimmrecht gegen nicht gebundene Gesellschafter nach interner Beschlussfassung einheitlich durch den Kläger auszuüben. Die beklagte DRV Bund stellte im Statusfeststellungsverfahren fest, dass die Tätigkeit des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer der Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege. In der gesetzlichen Rentenversicherung sei der Kläger von der Versicherungspflicht wegen seiner Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung befreit. Offensichtlich überstieg sein Einkommen die Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG), sodass wohl keine Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung und dem folgend auch nicht zur Pflegeversicherung vorlag. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das SG der Klage wegen der Einflussmöglichkeit des Klägers aufgrund der Poolvereinbarung stattgegeben. Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Als Steuerberater unterliege der Kläger zwar keinen einzelfallbezogenen Weisungen, er sei aber wegen seiner Anstellung als Geschäftsführer mit Festgehalt als abhängig Beschäftigter anzusehen. Die Poolvereinbarung stelle nur eine schuldrechtliche Verpflichtung außerhalb des Gesellschaftsvertrags dar. Hiergegen haben der Kläger sowie die Beigeladene zu 1. Revision eingelegt. Sie rügen eine Verletzung des § 7 Abs 1 SGB IV. Die Betreuung des eigenen Mandantenstamms mache 95 % der klägerischen Aufgaben aus. Dabei handele es sich um eine freiberufliche Tätigkeit, die vom Kläger eigenverantwortlich und weisungsunabhängig ausgeübt werde. Demgegenüber sei die Geschäftsführertätigkeit von völlig untergeordneter Bedeutung. Das Steuerberatungsgesetz knüpfe die Anerkennung einer Steuerberatungsgesellschaft gerade an die Voraussetzung, dass auch der Geschäftsführer Steuerberater sei. Abgesehen davon habe der Kläger aufgrund der in Kenntnis aller Gesellschafter zustande gekommenen Poolvereinbarung die faktische Macht, nach seinem Willen zwei Stimmen wirksam abzugeben und ihm nicht genehme Beschlüsse zu verhindern, unabhängig davon, ob er sich im Innenverhältnis gegebenenfalls schadenersatzpflichtig mache.

Der 12. Senat hat die Revisionen des Klägers und der beigeladenen GmbH zurückgewiesen. Der Kläger war in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der beigeladenen GmbH abhängig beschäftigt und damit nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtig. Er besaß als Minderheitsgesellschafter ohne umfassende gesellschaftsvertraglich direkt verankerte Sperrminorität nicht die zur Annahme von Selbstständigkeit erforderliche Rechtsmacht. Daran ändert auch die mit dem Vater als Innengesellschaft bürgerlichen Rechts vereinbarte notarielle Poolvereinbarung nichts. Diese lediglich schuldrechtliche Vereinbarung war jederzeit aus wichtigem Grund kündbar und genügt mangels Eintragung in das Handelsregister nicht den formalen Anforderungen an die Änderung eines Gesellschaftsvertrags und damit nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit beitragsrechtlicher Tatbestände. Zudem war der Vater rechtlich nicht gehindert, sein nach der Satzung fortbestehendes Stimmrecht im Konfliktfall selbst wirksam auszuüben. Diese sozialversicherungsrechtliche Einordnung erstreckt sich auch auf die Tätigkeit des Klägers als Steuerberater. Denn auch in dieser vom Anstellungsvertrag umfassten Tätigkeit war er in den Betrieb der GmbH eingegliedert. Deren alleiniger Zweck ist auf die berufsrechtlich zulässigen Tätigkeiten in Steuersachen gerichtet, wobei die GmbH selbst Vertragspartnerin der Mandatsverhältnisse wird. Die Maßstäbe zur Statusbeurteilung werden jedoch nicht berufsrechtlich überlagert. Dies lässt sich weder aus dem der Verkehrsanschauung entsprechenden Typusbegriff des „freien Berufs“ noch aus dem Steuerberatungsgesetz ableiten, das selbst den Status als Arbeitnehmer nicht ausschließt. Die berufsrechtlich gebotene fachliche Unabhängigkeit eines Steuerberaters schließt eine abhängige Beschäftigung nicht aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann sich bei sogenannten Diensten höherer Art die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers „zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinern. Aus den Bestimmungen zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung folgt nichts anderes. Diese setzen gerade das Bestehen von Versicherungspflicht voraus. Es handelt sich insoweit um ein Konzept abgestufter Schutzbedürftigkeit innerhalb der Beschäftigtenversicherung.

Diese Rechtsauffassung des 12. Senats des BSG überzeugt einmal mehr nicht. Die in allen anderen Rechtsgebieten anerkannt wirksamen Verträge über Stimmbindungen oder Stimmpoolungen der Gesellschafter werden nur vom für Beitragsfragen zuständigen 12. Senat des BSG hinwegfingiert wegen einer unterstellten jederzeitig möglichen außerordentlichen Kündigungsmöglichkeit und sogar wegen der unterstellten Möglichkeit -hier- des Vaters, unter vertragswidrigem Verstoß gegen die Poolungsvereinbarung einfach treuwidrig trotzdem abzustimmen. Die Einheitlichkeit der Rechtsordnung sieht der 12. Senat des BSG nicht gefährdet, obschon die Finanzgerichtsbarkeit die Poolungsvereinbarung steuerlich anerkennt, die Zivilgerichtsbarkeit Stimmbindungen als bindend anerkennt, und selbst obwohl diejenigen Senate des BSG, die für Leistungsfragen zuständig sind, durchaus gegenteilig entscheiden und weitaus weniger Sachverhalte als abhängige Beschäftigung bewerten, nämlich pikanterweise immer dann, wenn davon Leistungsansprüche Betroffener abhängen wie etwa Arbeitslosengeld, Insolvenzgeld, Erwerbsminderungsrente oder Unfallversicherungsleistungen. Lediglich da, wo es zur Beitragspflicht Betroffener führt, argumentiert der 12. Senat des BSG gerne damit, dass Verträge nicht nach Fremdnützlichkeit im Steuerrecht so, im Sozialrecht anders ausgelegt werden dürften. Die Parteien müssen sich dann, wenn es zu ihrer abhängigen Beschäftigung führt, an Verträgen festhalten lassen.

Der 12. Senat des BSG setzt sich, auch ohne ein Wort darüber zu verlieren, darüber hinweg, dass das Recht einer außerordentlichen Kündigung von Verträgen wie Stimmpoolungs- und Stimmbindungsvereinbarungen nur ausnahmsweise und aus wichtigem Grund zulässig ist. Ein solch wichtiger Grund liegt nicht vor, wenn sich gerade der Vertragszweck verwirklicht, nämlich ein Streitfall bzw. eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Gesellschaftern auftritt. Gerade für einen solchen Fall werden diese Verträge abgeschlossen. So lange sich ohnehin alle Parteien einig sind, bedarf es keiner Stimmbindungsverträge. Außerdem verbietet das BGB für die GbR die Kündigung zur Unzeit, was jedenfalls im Zusammenhang mit einer Abstimmung der Fall sein dürfte.

Und ob ernsthaft Gegenstand einer versicherungsrechtlichen Statusbeurteilung sein darf, dass potenziell einzelne Vertragsparteien sich treuwidrig bis kriminell verhalten und vertragsbrüchig werden könnten, bedarf an sich keiner weiteren Ausführungen. Zumal es an Inkonsequenz kaum zu überbieten scheint, die für einen solchen Fall bestehenden gesetzlichen Instrumentarien (beispielsweise) von Anfechtung oder ggf. bestehender körperschaftsrechtlicher Wirksamkeit von bestimmten Verträgen (also der direkten Wirkung gegenüber der Gesellschaft) dann aber wieder zu ignorieren, ebenso wie die Tatsache, dass der Gesetzgeber mit §§ 44 ff., 48 SGB X für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (wie einer versicherungsrechtlichen Statusbeurteilung) eine Ermächtigungsnorm geschaffen hat, bei einer Änderung der Verhältnisse auch eine geänderte Beurteilung durchzuführen.

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