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Wann die Muttergesellschaft keinen Einfluss auf die Tochtergesellschaft hat

28.07.2022

Wann die Muttergesellschaft keinen Einfluss auf die Tochtergesellschaft hat

Szenario: Ein hälftig beteiligter Gesellschafter einer Gesellschaft, die wiederum 50 % einer anderen Gesellschaft hält, ist in beiden Gesellschaften alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer (GGF). In beiden Gesellschaften werden Beschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst.

 

Wie ist der Fall sozialversicherungsrechtlich zu beurteilen?

Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 03.12.2021, L 1 KR 1/17, entschieden, dass bei zwei alleinvertretungsberechtigten, je zur Hälfte beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern einer Muttergesellschaft ein maßgeblicher Einfluss auf die Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft durch einen der beiden Geschäftsführer ausscheidet. Die Sozialversicherungspflicht für den Gesellschafter-Geschäftsführer wurde bestätigt.

 

Der Fall in Detail

Im oben genannten Fall hat die Tochtergesellschaft ein Stammkapital in Höhe von 100.000 Euro, das jeweils zur Hälfte von der Muttergesellschaft und Herrn VS gehalten werden. Alleiniger Geschäftsführer ist GGF. Die Beschlussfassung erfolgt mit einfacher Mehrheit.

In der Muttergesellschaft, deren Stammkapital 60.000 Euro beträgt, halten GGF und dessen Ehefrau das Stammkapital jeweils zu gleichen Teilen. Beide sind zu Geschäftsführern berufen, alleinvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Auch hier werden Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst. Die Stimmabgabe in der Tochtergesellschaft bedarf nach dem Gesellschaftsvertrag der Muttergesellschaft eines Gesellschafterbeschlusses in der Muttergesellschaft.

Angeführt wurde darüber hinaus eine mündliche Stimmbindungsvereinbarung in der Muttergesellschaft, die nach dem streitgegenständlichen Zeitraum verschriftlich wurde.

 

Gründe für das Urteil

Zusammengefasst führt das Gericht aus, dass in diesem Fall eine 50 %-Beteiligung in der Muttergesellschaft nicht ausreicht, um einen maßgeblichen Einfluss in der Tochtergesellschaft auszuüben.

  • Zwar könne GGF ihm nicht genehme Entscheidungen in der Muttergesellschaft verhindern, jedoch könne er diese auf der anderen Seite nicht in seinem Sinne für die Beschlussfassung in der Tochtergesellschaft herbeiführen, was zum Ausschluss einer Weisungsbindung jedoch vonnöten wäre.

Das Bundesozialgericht habe mit Urteil vom 23. Februar 2021 – B 12 R 18/18 R – Rn 18, „zwar klargestellt, dass sich ein erheblicher Einfluss des Geschäftsführers einer GmbH auch über den Einfluss ergeben kann, den er in einer anderen GmbH (Muttergesellschaft) ausüben kann, die ihrerseits an der GmbH beteiligt ist, bei der seine abhängige Beschäftigung in Frage steht. Das setzt aber voraus, dass er nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen in der Lage sein muss, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der (Tochter-)GmbH zu verhindern, in der er selbst Geschäftsführer ohne eigene Beteiligung am Gesellschaftskapital ist.

Das sei in diesem Fall nicht gegeben. GGF müsste in der Lage sein, als Gesellschafter der Muttergesellschaft seine Ehefrau für die Beschlussfassung in der Tochtergesellschaft so zu dominieren, dass ein Beschluss für die Stimmabgabe in der Tochtergesellschaft in seinem Sinn erfolge. Nur so könne GGF verhindern, dass die Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft ihm Weisungen erteile.

  • Hier fehle es GGF an einer Stimmen-/Anteilsmehrheit oder einer Sperrminorität in der Tochtergesellschaft, da GGF zwar alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer und hälftig beteiligter Gesellschafter der Muttergesellschaft sei, die stimmberechtigt in der Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft sei, aber auch die Ehefrau von GGF sei hälftig beteiligte Geschäftsführerin der Muttergesellschaft.

Der Kläger (GGF) war daher gesellschaftsrechtlich nicht jederzeit in der Lage, einen Beschluss der Gesellschafterversammlung der K H GmbH (Muttergesellschaft) herbeizuführen, welcher auf die Abgabe einer Gegenstimme zu einem von dem anderen Gesellschafter der Klägerin (Tochtergesellschaft) gestellten Antrag gerichtet ist.“

  • Da GGF und seine Ehefrau in der Stimmrechtsausübung als je alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Muttergesellschaft entgegengesetztes Abstimmungsverhalten zeigten, mithin hinsichtlich der Beschlussfassung in der Tochtergesellschaft uneinig wären, käme dieses inhaltlich widersprüchliche Verhalten, einer nicht abgegebenen Stimme gleich. Damit würde sich der andere Gesellschafter der Tochtergesellschaft, Herr VS, mit seiner Stimme durchsetzen, da gemäß §47 GmbHG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheide.

Das bedeutet, dass GGF in der Muttergesellschaft zwar einen Beschluss verhindern kann, dies den anderen Gesellschafter, Herrn VS, für die Beschlussfassung in der Tochtergesellschaft zum Alleinentscheider machte.

  • Der für den streitgegenständlichen Zeitraum vorgetragenen mündlichen Stimmbindungsvereinbarung komme keine Bedeutung zu, da lt. BSG-Rechtsprechung außerhalb des Gesellschaftsvertrages geschlossene Vereinbarungen und Abreden nicht zu berücksichtigen und sozialversicherungsrechtlich unerheblich seien.

Ergebnis zur Muttergesellschaft

Im Ergebnis habe GGF nicht die Rechtsmacht, die Stimmen in der Muttergesellschaft in seinem Sinne auszurichten, was jedoch Voraussetzung dafür wäre, Weisungen der Tochtergesellschaft ihm gegenüber auszuschließen. Daraus ergebe sich, so das LSG; dass GGF bei der Tochtergesellschaft nicht selbständig, sondern abhängig beschäftigt tätig gewesen sei.

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